Beim Aufbau der Bundesrepublik saßen im Bundesparlament und in den Länderparlamenten noch Politiker die sehr viel Lebenserfahrung und auch Kenntnisse und Verständnis für Geschichte hatten. Es gab genügend Experten, die Krieg, Flucht und Vertreibung am eigenen Leibe erfahren hatten und ihre Erfahrungen in die Politik auch einbringen konnten. Frau Merkel hat selbst als Wirtschaftsflüchtling „rüber gemacht“ als es opportun war, hat aber offensichtlich über die Zusammenhänge und Folgen vom Ein- und Auswanderung nicht genügend nachgedacht. Am Beispiel der Pfalz kann man Zusammenhänge über mehr als zwei Jahrhunderte studieren und analysieren. Ähnlichkeiten mit den heutigen Wirtschaftsflüchtlingen z.B. aus Syrien sind nicht zufällig.
Wirtschaftsflüchtlinge als Einwanderer in die Pfalz
Die Protestanten aus Frankreich sind ein schönes Beispiel für erfolgreiche Einwanderung. Anlaß zur Auswanderung waren Unterdrückung(Religion), Bedrohung von Leben (Progrome) und Verlust des Eigentums bei der Gegenreformation im katholischen Frankreich. Die Protestanten (Hugenotten) waren keine armen Leute sondern eine wirtschaftliche und intellektuelle Elite, die sich weltlicher „Macht“ nicht beliebig unterordnen wollten. Die Auswanderer brauchten aber immer ein Ziel wie z.B. die durch mehrere Kriege völlig verwüstete protestantische Pfalz , das bettelarme, protestantische Preußen oder Franken. Reiche Länder wollten keine Flüchtlinge. Friedrich Wilhelm von Brandenburg sicherte den Flüchtlingen im Toleranzedikt von Potsdam 1685 freie Niederlassung, Steuererlass und andere Privilegien zu. Um ihr Ziel zu erreichen mussten die Flüchtlinge weit und teuer reisen und mehrere Grenzen überschreiten. Die Einreise wurde damals wie heute eigentlich nur genehmigt, wenn die Ausreise gesichert war. Besondere Probleme hatte die Schweiz, die von Flüchtlingen geradezu überschwemmt wurde. Die Schweiz handelte deshalb Verträge mit deutschen (Klein)Staaten aus, die sich bereit fanden Flüchtlinge gegen Geld aufzunehmen.
Die Rechnung für die aufnehmenden Staaten ging meistens auf. Besonders Preußen und die Pfalz blühten auf. Die Wirtschaftsflüchtlinge brachten Technologien und Kapital sowie die neuesten Kenntnisse über Handel und Verwaltung ins Land. Die Wirtschaftsflüchtlinge siedelten meist in speziellen Städten und Vierteln (Frankenthal in der Pfalz, Französisches Viertel in Berlin, Erlangen in Bayern) und konnten so ihre sozialen Netzwerke gewinnbringend nutzen. Daneben gab es aber Einwanderer, die mit ihrer Lage nicht zufrieden waren und alsbald eine weitere Reise nach Amerika antraten, weil ihnen dort mehr Freiheit winkte. Dies wurden dann die Pennsylvania Dutch weil sie über Holland ausreisten. Die Amish sprechen z.B. noch heute einen pfälzer Dialekt. Private Kapitalgesellschaften versuchten die Auswanderer für ihre öden Ländereien in Amerika zu gewinnen. Man sang damals
Ach wie viele gute Sachen hört man aus Amerika, dorthin wollen wir uns machen, das schönste Leben hat man da.
Dieses Lied wird heute wohl auf arabisch im Nahen Osten gesungen. Mit diesem Modell der gesteuerten Einreise arbeiten die USA, Kanada und Australien noch heute. Besonders die USA hat es verstanden, sowohl Intellektuelle als auch qualifizierte Arbeiter für den Ausbau von Wissenschaft und Industrie je nach Bedarf weltweit zu rekrutieren. Die intellektuelle Arbeit im Silicon Valley wird weitgehend von Immigranten gemacht während die Eingeborenen die Finanzwelt kontrollieren.
Wirtschaftsflüchtlinge als Auswanderer in der Pfalz
In der Flüchtlingskrise sehen wir uns als Einwanderungsland. Kaum jemand diskutiert die Auswirkungen auf das Land der Auswanderer. Auch hier ist die Pfalz als Beispiel gut geeignet.
Die guten Zeiten in der Pfalz hielten nicht lang an. Durch die ewigen Kriege mit Frankreich, durch immer neue Steuern und den Anstieg der Bevölkerungszahlen sahen immer mehr Pfälzer keine Zukunft mehr in ihrem Land. Dazu kam, daß die Pfalz wieder katholisch werden sollte, weil die Wittelsbacher durch Erbfolge auf den bayrischen Thron kamen. Es wurden nun katholische Auswanderer aus Tirol angeworben. Protestantische Pfälzer hatten danach keine Aussicht auf Anstellung beim Staat und in der Armee – ein klassischer Fall von Jugendarbeitslosigkeit. Dazu kam, dass eine hohe Steuer bei der Heirat eingeführt wurde – die Jungen konnten nicht mehr offiziell heiraten (Eine ähnliche Situation gibt es heute bei den jungen arabischen Männern – sie können das übliche Brautgeld nicht mehr aufbringen!). Dadurch wurde natürlich erheblicher Auswanderungsdruck erzeugt. Es fehlte eigentlich nur ein Auswanderungsziel.
Der österreichische Kaiser Josef II. hatte 1781 die Pfalz besucht und sich lobend über den Stand der Landwirtschaft und Industrie geäußert. Ab 1783 traten in der Pfalz Werber (Schlepper) auf, die Zertifikate verkauften, die den Bauern und Handwerkern in den von den Türken verwüsteten Landstrichen im Osten des Reiches ein Stück Land mit Haus und Startkapital zusicherten. Der Großteil dieser Zertifikate war natürlich gefälscht und wurde gegen gutes Geld an Interessenten verkauft. Damit konnte man die Grenze der vielen Kleinstaaten auch ohne Paß (das war ursprünglich ein Dokument, das die Ausreise erlaubte) des eigenen Regenten, der die Ausreise verboten hatte, passieren. Sehr schnell etablierten sich zwei Balkanrouten nach Wien – eine über Ulm und die Donau und eine Route über Würzburg. Die Reise über Würzburg war nicht billig, das konnten sich nur Bessere leisten. Manche Gemeinden bezahlten aber auch die Ausreise für ihre Armen, damit sie nicht mehr für diese sorgen mussten! Die Pfalz verlor mit den Auswanderern einen großen Teil der innovativen und produktiven Bevölkerung und hat sich von diesem Aderlaß über hundert Jahre nicht erholt. Entlang der Auswanderwege bildete sich eine blühende Schlepperindustrie. In Wien angekommen wurde zunächst einmal in der protentantischen, niederländischen Botschaft geheiratet (die Braut und die fromme Schwiegermutter waren ja mitgereist). In der Wiener Vorstadt wurden ihnen dann mit überhöhten Preisen das letzte Reisegeld abgenommen. Danach stellten die meisten fest, dass die zugesagten Ländereien längst vergeben waren. Der Staat Österreich gab nur noch Schuldscheine aus und ging dann 1811 und 1816 gleich zweimal Bankrott.
Die Wirtschaftsflüchtlinge versuchten sich zu Verwandten in Ungarn, die schon früher von ungarischen protestantischen Fürsten angesiedelt wurden, durchzuschlagen und sich dann von dubiosen Investoren (Public Private Partnership) ansiedeln zu lassen, denen sie Frondienste leisten und hohe Steuern (denen sie in der Pfalz entkommen wollten) zahlen mussten. Einige zogen auch weiter in das gelobte russische Schwarzerdeland – ihre blühenden Siedlungen sollten dann später Stalin sehr beeindrucken. Man nannte sie Donauschwaben (weil sie aus Schwaben kamen) obwohl sie eigentlich Pfälzer waren und auch im pfälzischen Dialekt sprachen. Ähnlich sind die die Pennsylvania Dutch in Amerika Pfälzer, die über Holland nach Amerika ausgewandert sind. Sie sprechen heute noch ihren Pfälzer Dialekt und leben nach ihren Regeln aus dem 18. Jahrhundert.
Neben den Deutschen wurden an der Donau auch serbische, kroatische, slowakische u.a. Flüchtlinge angesiedelt. Sehr schnell stellte sich heraus, dass ein gedeihliches Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen nur möglich war, wenn man sie homogen in eigenen Dörfern oder in Bezirken ansiedelte. Zum Teil kam es auch zu Flurbereinigung indem die tüchtigeren deutschen Bauern, die Felder der anderen Bewohner aufkauften. Damit machte man sich nicht unbedingt beliebt. Gesprochen wurde pfälzisch, Pfarrer und Lehrer waren deutsch. Viele der Deutschen sprachen keine „Fremdsprache“ und konnten sich mit den anderen Bewohnern des Landes nicht verständigen. Im österreichischen Kaiserreich wurde den verschiedenen Nationalitäten eine gewisse Selbständigkeit in der Religion und bei den Schulen erlaubt. Das änderte sich mit dem in Europa aufblühenden Nationalismus und nach dem Zusammenbruch des Österreichischen Kaiserreiches. Jetzt versuchte auf dem Balkan jeder jeden zu unterdrücken. Die Deutschen waren als Minderheit nach dem 1. Weltkrieg in den neuen Nationalstaaten in einer schwierigen Situation. Mit den Nationalsozialisten hofften sie, die Führung auf dem Balkan zu übernehmen. Gegen Kriegsende wurden fast alle Donauschwaben in einer „Heim ins Reich“ Aktion nach Deutschland geholt. Wer blieb wurde von Partisanen erschossen oder von den Sowjets deportiert. Heim ins Reich ging es nur für die Russlanddeutschen und ihre (häufig russischen) Angehörigen – zwischen 1990 und 2001 etwa 1.9 Millionen Menschen – die inzwischen weitgehend in Deutschland integriert sind. Es gibt in größeren Städten aber durchaus russische Inseln z.B. in Pforzheim, in denen nur russisch gesprochen wird.
Für die ausgewanderten Deutschen war es ein Segen, daß sie ihre Sprache und Kultur nicht aufgegeben haben, so konnten sie sich nach dem Krieg in Deutschland wieder eingliedern. Restdeutschland hat nach dem verlorenen Krieg über die Flüchtlinge gestöhnt hat aber letztendlich von den Flüchtlingen profitiert z.B. Aussage eines alten schwäbischen Bauern: „Zwei Sachen haben wir von den Flüchtlingen gelernt – im Winter Salat essen und die Kinder auf die Schule schicken!“
Für die Pfalz war die massive Auswanderung der Wirtschaftsflüchtlinge ein wesentlicher Nachteil für die wirtschaftliche Entwicklung. Weite ländliche Teile erlebten auch keinen wirtschaftlichen Aufschwung durch Zuwanderung nach dem Krieg. Die Pfalz lag in der französischen Besatzungszone, die nur begrenzt Flüchtlinge aufnahm.
Empfehlungen
- Wirtschaftsflüchtlinge sollte man nicht zwangsweise sprachlich und kulturell voll eingliedern, damit nimmt man ihnen die Chance in ihr Heimatland zurückzukehren. Ihre Muttersprache sollte z.B. als 2. Fremdsprache an Schulen unterrichtet werden ähnlich wie heute russisch.
- Falls die Flüchtlinge bei Verwandten, Freunden oder Bekannten einige Zeit unterkommen können sollte man dies fördern.
- Es kann durchaus sinnvoll sein bei hoher Einwanderungsrate Flüchtlinge in ethnisch geprägten Zonen anzusiedeln. Das erleichtert den Flüchtlingen das Leben im fremden Land und vermeidet Konflikte. In allen Ländern mit hoher Zuwanderungsrate haben sich ethnisch geprägte Viertel etabliert (Beispiel: die Schwaben am Penzlauer Berg). Positive Beispiele sind z.B. die Neubauviertel für Flüchtlinge nach dem Krieg. Negative Beispiele findet man häufig in England und USA. Das zentrale Problem ist in diesen Vierteln aber nicht die ethnische Zusammensetzung sondern Arbeitslosgkeit und soziale Vernachlässigung.
- Man sollte das Modell der „Gastarbeiter“ als „Bürger auf Zeit“ in Deutschland wieder aufnehmen. Wer in seinem Heimatland kein Auskommen hat oder bedroht wird, sollte die Möglichkeit bekommen, in Deutschland Schutz zu erhalten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und Qualifikationen zu erwerben und seine Familie zu unterstützen. Allerdings kann man mit einer Ausbildung als Altenpfleger in Syrien wohl kein Geld verdienen. Durch Unterstützung der Herkunftsländer muß ein Zustand hergestellt werden, der es erlaubt den „Bürgern auf Zeit“ wieder in ihr Heimatland zurückzukehren. Über 80 % der ehemaligen Gastarbeiter aus Italien und Portugal sind z.B. wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, als sich dort die Lage gebessert hat. Häufig haben sie in ihrem Heimatland Häuser und Grundstücke und können dort in ihrem gewohnten sozialen Umfeld auch mit weniger Geld besser leben als in Deutschland und zum Aufbau ihres Heimatlandes beitragen.
- Die „Flüchtlingsindustrie“ in Deutschland sollte sehr kritisch beobachtet werden. Das viele staatliche Geld für Flüchtlingshilfe lockt viele dubiose aber auch kirchliche Geschäftemacher an. Bei „Public/Private“ Partnerschaftsmodellen sollten die roten Ampeln angehen. Die vielen wirtschaftlichen Fehler, die man bei der Wiedervereinigung gemacht hat, sollte man nicht wiederholen.
- Mit Versprechungen an die Flüchtlinge, die man nicht halten kann, sollte man sehr zurückhaltend sein. Es ist z.B. fraglich ob Deutschland die kostenlose Ausbildung bis zum (häufig sinnlosen) Universitätsabschluss in einem globalen Umfeld, in der Bildung immer mehr kostet, durchhalten kann. Die vielen arbeitslosen Akademiker in der EU (Italien, Spanien, Griechenland usw) sollten als Warnung ausreichen. Bei den Staaten im Süden Europas mit hoher Jugendarbeitslosigkeit mahnt z. B. die Bertelsmann-Stiftung weiter Strukturreformen an. „Dort kommen viele Hochqualifizierte nicht auf dem Arbeitsmarkt an.“ Wie sagte ein algerischer Minister schon vor Jahren zu mir: „Wir brauchen Poliere – Architekten und Arbeiter haben wir genügend!“
Referenz: Der Deutsch Kolonist, Johann Eimann, Pesth, 1822
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.