Aussenstehende werden sich sicher fragen, warum die Stuttgarter sich wegen eines Tiefbahnhofs und ein paar Bäumen im Park so aufregen. In Wirklichkeit ist S21 ein Ausbruch der tiefen Unzufriedenheit der schwäbischen Bevölkerung speziell in Stuttgart über den langsamen Niedergang der Region. Die Kurzarbeit der industriellen Zugpferde Daimler, Porsche und vieler Automobilzulieferern in 2009 sowie die fehlgeschlagenen Finanzabenteuer bei Daimler/Chrysler und Porsche/VW, die Entlassungen und Pleiten bei der Automobilzulieferindustrie, und die vergeudeten Milliarden von Stadt und Land bei der Landesbank LBBW haben das Selbstbewusstsein der Region schwer getroffen. Die Bürger haben trotz hoher Beschäftigung plötzlich Angst um ihre Jobs und um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Die einst so reich sprudelnden Steuereinnahmen sind plötzlich geschrumpft und werden durch die immensen Verlustvorträge der Großfirmen und Verteilung der Gewerbesteuer auf viele Standorte auf Dauer gemindert. Die ehemals reichste Daimler Stadt Sindelfingen, hatte z.B. so hohe Steuerausfälle, dass die Stadt der Pleite entgegensah. Überall muss gespart werden. Die sinnlosen Ausgaben für Stuttgart 21, treffen deshalb direkt ins Herz der eher sparsamen Schwaben. Es ist aber schwierig aus den polemischen Argumenten der Für und Wider Parteien, die Fakten herauszulesen.
Fakt ist, dass der Bahnhof in Stuttgart schon lange kein Kopfbahnhof mehr ist. Unter den alten Bahnhofshallen gibt es schon seit 20 Jahren einen funktionierenden S- und U-Bahnhof, den die komfortablen und pünktlichen Nahverkehrszüge im 2 Minuten Takt in West-Ost Richtung durchqueren und speziell am Morgen und am Abend Tausende Stuttgarter Fahrgäste reibungslos bedienen. Der Flughafen Stuttgart kann mit der S-Bahn im 15 Minuten Takt erreicht werden. Dies wird aber allenfalls von einigen, marodierenden Rentnerbanden auf dem Weg zu ihrem Billigflug genutzt. Geschäftsleute fahren mit Auto oder Taxi zum Flughafen (weil die schwäbischen Geschäftsleute, das vom Arbeitgeber als Reisekosten ersetzt bekommen), weil sie beim Umweg von ihrem Wohnort über den Hauptbahnhof und im Stau der Innenstadt zu viel Zeit verlieren würden. Die S-Bahn muss zum Flughafen dabei einen kleinen Bogen machen, weil der Flughafen (Gott sei Dank) im Süden Stuttgarts wesentlich höher als die Stadt auf den Fildern liegt. Eine direkte Strecke vom Bahnhof zum Flughafen ist für reguläre Züge zu steil. Nur die Zahnradbahn aus dem 19. Jahrhundert fährt direkt aus dem Tal auf die Höhe nach Degerloch im Süden. Die Gleise in den alten Bahnhofshallen stehen derweil ziemlich leer, weil die Bahn so ziemlich alles gemacht hat, um den Fern- und Regionalverkehr unattraktiv zu machen. Neue Angebote wie z.B. die attraktive TGV Verbindung von Stuttgart nach Paris der französischen Bahn SNCF findet man bei der DB nicht!
Es gibt heute laut Fahrplan in der Hauptverkehrszeit nur etwa jede Stunde einen ICE von Stuttgart nach München. Das Angebot ist nun nicht so gering, weil die Streckenkapazität begrenzt wäre, sondern weil einfach wenig Leute von oder über Stuttgart nach München mit der Bahn fahren wollen. Das Gebiet im Süden von Stuttgart bis München ist sehr ländlich und dünn besiedelt – also gibt es sehr wenig Fahrgäste aus dieser Region. Traditionell gibt es auch wenig wirtschaftliche Kontakte zwischen Baden-Württemberg und Bayern. Für die Schwaben beginnt hinter München der Balkan und deshalb will man da nicht so gerne hin. Die Europa Ost West Schnellzug Transversale, die immer wieder beschworen wird, findet allenfalls bei Rundfunk Feuilleton Redakteuren Zuspruch, die sich freuen, dass man jetzt schneller nach Prag kommt (die haben aber übersehen, dass die geplante Strecke gar nicht nach Prag führt).
Jedem denkenden Menschen bleibt es total verschlossen, warum ausgerechnet die gering befahrene Bahnstrecke von Stuttgart nach München für etwa 8 Milliarden € ausgebaut werden muss, wenn auch in Baden-Württemberg für total überlastete Bahnstrecken z.B.im Rheintal nach Basel, die für den Güterfernverkehr sehr wichtig ist, auf Jahrzehnte kein Geld zur Verfügung steht. Ein direkter ICE Anschluss des Stuttgarter Flughafens macht auch wenig Sinn, weil das Flugangebot in Stuttgart mangels Passagieren sehr bescheiden ist. Wenn schon mit dem ICE zum Flughafen fährt dann fährt man nach Frankfurt, wo das Flugangebot größer und Flüge viel billiger sind als ab Stuttgart. Verkehrstechnisch und verkehrspolitisch macht der Ausbau der ICE Strecke nach München heute keinen Sinn.
Das war auch schon vor Jahren klar, als man den Ausbau Plan widerbelebt hat. Der eigentliche Grund für den Tiefbahnhof war zur Zeit der Immobilienblase die Gewinnung von Ausbaufläche in der Stadt Stuttgart durch Wegfall der Gleisanlagen. Hier wollte die LBBW Bank viel Raum für Immobilienspekulanten schaffen, die viel Geld von Investoren für Immobilien einsammeln wollten, die im doch recht kleinen Stuttgart nie und nimmer gebraucht werden. Herr Dürr war begeistert, weil er für das Gelände von der Stadt einige hundert Millionen vorab erhielt, die er dringend brauchte um die Bilanz der DB beim Börsengang aufzubessern. Das Geld für diesen Grundstückskauf hatte natürlich auch die Stadt Stuttgart nicht – man verkaufte einfach die Stadtwerke Stuttgart für 2.3 Milliarden an die EnBW und konnt damit sogar auf dem Papier die Schulden der Stadt (1 Milliarde €) tilgen. Anschließend kauft das Land Baden-Württemberg die EnBW wieder unter Federführung des Strategen Mappus wieder zurück. Nun ist das Geld der Stadt und des Landes weg und die Stadt Suttgart und die Landesregierung stehen vor einem Scherbenhaufen. Peinlich ist nur, dass die Bürger das gemerkt haben. Wie heißt es doch bei Schiller „spät kömmt ihr doch ihr kömmt!“
Ein Teil der Gegner von Stuttgart 21 schlägt eine Alternative mit einem Kopfbahnhof K21 und Ausbau der Strecke nach München vor. Das wäre eine noch größere Dummheit als der S21 Vorschlag, weil man ganz neu mit der Planung beginnen müsste. Die eleganteste und billigste Lösung wäre, den jetzigen Bahnhof zu renovieren, die überflüssigen Geleise im Vorfeld des Bahnhofs zu entfernen und die Strecke nach München wieder auf den Stand von 1995 zu bringen. Damals war die Bahn bereits so schnell wie es mit der neuen Strecke geplant wird. Dabei würden etwa 50 % der Bauflächen gegenüber S21 frei. Das ist weit mehr als in Stuttgart in den nächsten dreißig Jahren gebraucht wird. Die großen Firmen IBM, Daimler, Bosch u.a. ziehen sowieso aus der Stadt in die Umgebung von Stuttgart, weil dort die Baulandpreise und die Steuern niedriger sind und genügend attraktive Bauplätze mit guter Anbindung an die Autobahnen zur Verfügung stehen. Der Anschluss an die Bahn ist für moderne Unternehmen völlig irrelevant.