Der Ansatz der Piraten, in der Politik ähnliche Methoden anzuwenden wie im Web und in der Softwareindustrie und ist zunächst einmal überzeugend. Immerhin hat man mit diesen Techniken die einzige weltweite Wachstumsindustrie und soziale Revolution der letzten Jahrzehnte geschaffen. Was für die Industrie gut war kann ja für die Politik nicht so schlecht sein. Allerdings haben die Piraten einen wesentlichen Aspekt der IT Entwicklung nicht beachtet. IT Entwicklung wird ganz wesentlich von „Leadern“ bestimmt, die neue Ideen propagieren und durchsetzen (und die sind leider nicht bei den Piraten). Dabei sind die Wege, wie man zum Leader wird, äusserst diffizil. Ein Leader kann eine eigene Idee aber auch eine gute Idee anderer Entwickler verfolgen. Er braucht um diese Idee aber durchzusetzen, immer die Zustimmung von Mitstreitern, die ein ähnliches Niveau haben und bereit sind ihr Denk- und Arbeitsvermögen in ein gemeinsames Projekt einzubringen.
Die Projekte sind dabei offen – jeder kann dabei mitmachen. Wer aber nichts zum gemeinsamen Projekt beiträgt oder mangels Kenntnissen nicht beitragen kann, hat im Projekt auch kein Stimmrecht. Das ist sicher nicht im Sinne der Basisdemokraten aller Couleur. Der Projektleader muss mit Autorität jedoch mit viel Fingerspitzengefühl agieren, sonst laufen ihm seine Mitstreiter davon. Diese machen ja freiwillig mit, werden nicht bezahlt und sind damit auch nicht abhängig. Entscheidungen werden in diesen Gruppen nicht mit Mehrheitsabstimmung gefällt eher nach der Regel „Man muss die Stimmen wägen und nicht zählen!“ Leader kann nur sein, wer einen gewissen Freiraum hat und ihn nutzen kann.
Projekte, deren Fortgang durch Basisdemokratie bestimmt wird, sind für Leader nicht interessant. Ebenso wenig Projekte, die durch fachlich wenig überzeugende Hierarchien bestimmt werden. Das zeigt sich bei den Piraten ganz deutlich durch einen Mangel an überzeugenden Persönlichkeiten, die neue Ideen einbringen und auch die Umsetzung in die Realität leiten können. Man hat auch keine Prozesse, die Leadern eine interessante Position bieten. Zum Trost der Piraten sei festgestellt, dass auch die anderen, nach hierarchischem Prinzip arbeitenden Parteien, keine herausragenden Persönlichkeiten mehr hervorbringen oder mit externen Kandidaten besetzen können. Allerdings haben die Piraten einen Ansatz wie sie mit offenen Arbeitsgruppen zu Fachthemen Führungspersonen gewinnen und ausbilden können, die von ihren Arbeitsgruppen anerkannt werden. Die Arbeitsgruppen werden aber wohl schnell die Lust verlieren wenn ihre Vorschläge und Lösungen leichtfertig „basisdemokratisch“ geändert oder abgelehnt werden. Man wird sehen ob das IT Modell der unabhängigen Fachgruppen in der Piratenpartei umgesetzt werden kann.
Am deutlichsten erkennt man die Personaldefizite in den Parteien, wenn z.B. bei einer Oberbürgermeisterwahl eine Persönlichkeit und kein Parteisoldat benötigt wird, um die Wahl zu gewinnen. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart kann z.B. keine der Parteien einen Kandidaten präsentieren, der zumindest formal den Ansprüchen des Amtes gerecht werden kann. Die CDU präsentiert einen PR Profi („Wir können auch ein bischen schwäbisch“) und die SPD eine weder fachlich noch menschlich begeisternde Sozialbürgemeisterin einer kleineren Stadt, Die Grünen wollen einen Altpolitiker versorgen und die S21 Gegner gehen mit einem ihrer Aktivisten ins Rennen, der keinerlei Erfahrung in der Verwaltung und im Umgang mit den Menschen in der Verwaltung hat.
Eins scheint sicher, die Stuttgarter werden einen neuen Bürgermeister bekommen, den der größte Teil der Bürger (und auch der Parteimitglieder) gar nicht will.