In Deutschland wird sehr viel über die Gegenwart und die Vergangenheit diskutiert. Die Zukunft findet eigentlich nur Erwähnung als drohender Untergang durch den Klimawandel und Bedrohung der deutschen Automobilindustrie durch eAutos. Obwohl wir Ministerien für Bau und Verkehr haben gibt es in Deutschland keine konstruktive Diskussion über die Art und Weise wie wir in Zukunft leben wollen. Man nimmt an, daß in Zukunft alle Deutschen sehr beengt in Großstädten leben wollen. Wichtig ist, daß die Wohnungen gut isoliert, künstlich belüftet, möglichst aufwendig im Unterhalt sind und die Umwelt möglichst wenig belasten.
Ein optimiertes neues Wohnquartier sieht dann so ähnlich aus wie dieses Neubauviertel in Böblingen, dessen Architektur sich an der Käfighaltung von Hühnern und den Hinterhöfen der Berliner Gründerzeit orientiert. Das verblüffende ist, daß die Bewohner dieser Viertel sich als Vorreiter der Grünen Ideologie sehen, in der sich der Mensch mit seinen Bedürfnissen der „Natur“ unterordnet, möglichst wenig Fläche und Resourcen verbraucht und die freien Flächen in Deutschland den Landwirten überläßt, die auf den leeren Fluren mit Hilfe von Kunstdünger und Unkrautvernichtern Lebensmittel erzeugen, die von der Generation Bio nicht gegessen werden.
Ganz anders ist das Heim der Familie Clinton, das etwa eine halbe Stunde Autofahrt nördlich von Manhattan in Chappaqua in einer Waldlandschaft mit klaren Bächen und fischreichen kleinen Teichen liegt. Das hundertjährige Haus ist umweltschonend aus Holz gebaut, wird ohne Emissionen beheizt (ab und zu brennt aber das Holz der Wildkirsche vom eigenen Grundstück im Kamin), und hat 1990 nur 1,7 Millionen $ gekostet. Abends treten dort die Rehe aus dem naturbelassenen Wald auf die Wiesen, viele Vogelarten halten sich in den Wäldern und Gewässern auf. Ab und zu schleicht auch das Traumtier der deutschen Grünen, der Wolf, durch den Wald. Im Herbst sieht man mit etwas Glück sogar Bären. Die Mehrzahl der Bewohner arbeitet in der Nähe in den Zentralen von großen Firmen und in Forschungslabors. Wer nach New York muß, fährt mit dem Auto zu nahegelegenen Bahnhöfen mit riesigen Parkplätzen und von dort in 20 Minten nach Manhattan, läßt sich vom Chauffeur in der Limousine nach New York bringen oder fliegt mit dem Helikopter direkt nach Manhattan. Am Abend ist man mit dem Auto in einer halben Stunde in New York und kann dort am kulturellen Leben teilhaben, solange die Kreditkarte gedeckt ist. Die Kinder werden mit Schulbussen direkt vom Haus zur Schule und am Nachmittag nach Hause gebracht, wo die Mama oder das Kindermädchen auf die Kleinen wartet. Da es in der weiteren Umgebung (z.B. in Ossining Heimat von Sing Sing) genügend arme Leute gibt, ist es kein Problem Hauspersonal zu bekommen. Für die Clinton’s gibt es eigentlich nur ein kleines Problem – der nächstgelegene Golf & Country Club gehört Donald Trump. Ich selbst hatte das Glück in den 70er Jahren in dieser Traumgegend mit meiner Familie zwei Jahre auf einem großen Grundstück mit Aussicht auf Wald, Wiese und Bach zu leben. Als wir das Haus verlassen und wieder nach Deutschland ziehen mussten, hatte die ganze Familie Tränen in den Augen.
Eigentlich müsste es der Traum jedes Grünen sein, so zu wohnen wie die Clintons. Offensichtlich haben die Deutschen aber während der Romantik genug vom Leben in der Natur geträumt, daß sie sich jetzt der Ideologie der vermeintlichen Schonung der Natur hingeben. Dabei werden z.B. die Häuser um Chappaqua völlig CO2 emissionsfrei vom nahegelegenen Atomkraftwerk Indian Point mit Strom auch zur Heizung versorgt. Die meisten Straßen sind nicht geteert – ein Traum für deutsche SUV Enthusiasten besonders im Winter wenn die Straßen nicht geräumt werden. Viele Bewohner müssen für die Arbeit nur selten das Haus verlassen da man international meist über das Internet arbeitet und kommuniziert. Ganz Fortschrittliche fahren jetzt mit einem eAuto emissionsfrei zur Arbeit und zum Vergnügen.
In Deutschland werden mit der Ideologie der Nachverdichtung die letzen Grünflächen in den Städten vernichtet. Das alte Argument, daß die Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes sein sollte, zieht nicht mehr, da es in der Stadt immer weniger Arbeitsplätze gibt. Jetzt pendeln die Städter zu den Arbeitsplätzen aufs Land. Fraglich ist auch ob die Landwirtschaft auf ausgeräumten Großflächen die Umwelt mehr schont als locker bebaute Wohnparks in denen die Landwirte die Landschaft umweltschonend pflegen. Auf einigen aufgelassenen Truppenübungsplätzen scheint sich in Deutschland auch eine solche aufgelockerte Siedlungsform zu entwickeln.
Die Gegend um Chappaqua zeigt exemplarisch wie das funktionieren könnte. Am Anfang stand die Vertreibung der angestammten Einwohner, der Indianer. Dann wurde das Gelände gerodet und für die Landwirtschaft zur Versorgung der Metropole New York genutzt. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn und der Motorschiffe konnten die Lebensmittel kostengünstig über größere Strecken transportiert werden. Die Bauernhäuser verfielen, auf den Grundstücken wuchs wieder natürlicher Wald und mit dem Aufkommen der Automobile zogen die New Yorker in die Idylle ein. Zunächst die armen Leute und Künstler, die dann anschließend von den Reichen vertrieben wurden. Die Armen mussten wieder nach New York und hausen dort in beengten Verhältnissen.
In einem Science Fiction Roman, den ich vor längerer Zeit gelesen habe, wurde die schöne neue Welt, die wir offensichtlich in Deutschland verwirklichen wollen, ganz gut beschrieben. Die „fortschrittlichen“ Bürger wohnten „gut integriert“ in den Städten, die den Großstädten in Japan und China gleichen. Mangels eigenem privatem Raum strömen die Menschen nach der Arbeit auf die Straßen, gehen keine Beziehungen zum anderen Geschlecht mehr ein, vereinsamen und hängen seltsamen und narzisstischen Kulten an. Im Sience Fiction Roman gab es einen [6] Knopf an der Kleidung, der selbst oder von anderen betätigt werden konnte. Damit konnte man die gängigen Sexpraktiken ohne Körperkontakt nachbilden. Die Bürger wurden mit künstlicher, in großen Fabriken hergestellter Nahrung versorgt. Natürliche Nahrung wurde von der Wissenschaft als gefährlich und als Auslöser von Krebs und Alzheimer erkannt und durch autophage, optimierte künstliche Nahrung (All artificial, no natural ingredients added) ersetzt. Die Vertreter dieser Lehrmeinung waren die „Phagies“. Durch die Einführung der autophagen Nahrung wurden die Probleme der Ernährung der Weltbevölkerung gelöst und die gefährlichsten Krankheiten ausgemerzt.
Von den Fenstern ihrer Wohnwaben konnten die „Phagies“ in der Ferne die Holzhäuser der rückständigen „Bios“ sehen aus deren Kamin Rauch aufstieg und die ihre ungesunde Bio Nahrung wie in alten Zeiten selbst produzierten. Dieser Minderheit fühlten sich die Phagies weit überlegen. Im letzten Kapitel des Science Fiction Romans stellte sich aber heraus, daß die Bios im Besitz aller Aktien waren und im kleinen Kreis am offenen Kamin die Gemeinschaft der Phagies steuerten.
In Deutschland rutscht man in eine solche Kultur hinein. Eine Diskussion über die Möglichkeiten, die wir mit Internetwirtschaft, emissionsfreien, autonomen Fahrzeugen und neuen Methoden zur Erzeugung von Nahrung schöner und naturnah leben könnten scheint niemand zu interessieren.
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