Wer stellt eigentlich die Kandidaten für unsere Parlamente auf – ist das noch Demokratie? 700 Bundestagsabgeordnete verhindern durch Wahl parteiloser Kandidaten.
Die Wähler in USA wundern sich zur Zeit, wie es dazu kommen konnte, daß sie nur zwischen zwei ziemlich ungeliebten Kandidaten für das Präsidentenamt wählen konnten. Theoretisch kann jeder US Bürger für einen Kandidaten seiner Wahl stimmen. Durch das Parteien- und Vorwahlsystem der USA, können die Bürger dieses Recht aber nur eingeschränkt und indirekt wahrnehmen. Immerhin können alle US Bürger, auch wenn sie nicht Parteimitglied sind, an der Vorwahl teilnehmen. Zusätzlich können auch unabhängige (independent) Kandidaten für das Präsidentenamt oder für einen Sitz im Kongress oder im Senat kandidieren.
Der bekannteste unabhängige Politiker der USA ist wohl Bernie Sanders der als unabhängiger Senator von Vermont fast Kandidat der Demokraten geworden wäre. Er hätte bei den einfachen Leuten sicher bessere Chancen gehabt als Hillary Clinton. Leider hatte er aber nicht die Unterstützung der mächtigen Geldgeber.
Eine ähnliche „Friß Vogel oder stirb“ Situation ergibt sich in Deutschland bei der Wahl des Bundespräsidenten. Der Kandidat wird zwischen den Parteien vorab ausgeklüngelt. Er sollte möglichst schwach sein und die „richtige“ Politik möglichst wenig stören. Die Wahl ist dann meist nur noch eine Farce.
In Deutschland definiert das Grundgesetz einige grundlegende Regeln für Wahlen zu den Parlamenten in Bund und Länder sowie in den Gemeinden. Die detaillierten Wahlverfahren werden aber von den jeweiligen Parlamenten selbst bestimmt. Bei den Gemeinderatwahlen haben sich Wahlverfahren etabliert, die den Bürgern erlauben, nicht nur eine Partei, sondern z.T. auch Kandidaten auf den Parteilisten auszuwählen (Kumulieren, Panaschieren). Die Bürger sind damit direkt beteiligt und meist auch zufrieden. Die großen Parteien im Bund und den Ländern versuchen sich aber Vorteile durch Änderung des Wahlverfahrens zu verschaffen, sobald es die Zusammensetzung des Parlaments erlaubt. Speziell in den Ländern haben sich dadurch zum Teil absurde Regeln für die Durchführung der Wahlen etabliert.
Der Trend geht aber dahin, die Möglichkeiten der Wähler, einen bestimmten Kandidaten zu wählen, einzuschränken. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg gibt es keine Erst-und Zweitstimmen. Man muss eine naive „Naturfreundin“ wählen, wenn man eigentlich nur die Grüne Partei wählen will. Kandidat und Partei sind bei der Wahl fest verbunden. In der heutigen Parteienlandschaft kann man in vielen Wahlkreisen bereits mit weniger als 30% der Wählerstimmen ein Direktmandat erringen. Bei kleineren Parteien kommen alle Abgeordneten über die Zweitstimme und Parteilisten ins Parlament. Bei der Aufstellung der Parteilisten sind die Parteioberen sehr kreativ bei den Methoden. Mit Basisdemokratie hat das meist wenig aber viel mit Intrigen, Mobbing usw zu tun.
Beim Wahlverfahren für den Bundestag ergibt sich eine skurrile Situation. Kleine Parteien z.B. die SPD oder die Grünen in Baden Württemberg sind gar nicht daran interessiert Wahlkreise über die Erststimme zu gewinnen. Hierfür muss man einen guten Kandidaten finden, der bereit ist, viel Zeit und auch eigenes Geld in den Wahlkampf zu investieren. Gewinnt solch ein Kandidat auch noch die Wahl dann wird er selbstbewußt und läßt sich nicht beliebig von der Parteiführung gängeln. Da konzentriert man sich lieber auf die Zweitstimme mit der die Kandidaten über die Parteiliste ins Parlament kommen können. Meist sind das stramme Parteisoldaten. Werden in einem Bundesland mehr Kandidaten direkt gewählt als der Partei gemäß der Zweitstimmen eigentlich zustehen, gibt es Überhangmandate. Da jubeln dann die Hinterbänkler auf den Parteilisten. Bei der Bundestagswahl 2013 führten 4 Überhangmandate der CDU zu 29 Überhangmandaten im Parlament. Anstatt der offiziellen Zahl von 598 Abgeordneten hatten nun 631 Abgeordnete einen Anspruch auf einen Platz im Parlament.
Ein schönes Beispiel für die Auswirkung der Überhangmandate liefert Bayern. Bei der Bundestagswahl 2017 stehen Bayern 46 direkt gewählte Abgeordnete und 46 „Listen“ Abgeordnete zu. Erringt die CSU alle Direktmandate erhält aber z.B. nur 40% der Zweitstimmen (SPD 30%, Grüne 20%, AfD 10%) muss die Zahl der Abgeordneten aus Bayern auf 115 erhöht werden, damit die CSU nicht mehr als 40% der Abgeordneten aus Bayern stellt. Man benötigt also 13 Überhangmandate, die von den Parteilisten der kleinen Parteien gefüllt werden. Ein cleverer SPD Anhänger wählt z.B. mit der Erststimme den CSU Kandidaten und mit seiner Zweitstimme die SPD, um möglichst viele bayrische SPD Parteisoldaten in den Bundestag zu schicken.
Je zersplitterter die Parteienlandschaft ist, desto mehr Überhangmandate gibt es. Bei der Bundestagswahl 2017 befürchtet man, dass durch Überhangmandate bis zu 700 Abgeordnete im Parlament sitzen könnten, was sicher einigen Unmut beim Wahlvolk erregen wird.
Der Wähler kann gegen diesen Unsinn dadurch angehen, daß er einen unabhängigen Kandidaten mit seiner Erststimme wählt. Die Chancen für parteiunabhängige Kandidaten stehen 2017 recht gut. Schließlich gibt es in Deutschland z.B. viele parteilose Oberbürgermeister Da sollten sich genügend parteilose Kandidten für den Bundestag finden lassen. Die Parteien würden aber gerne die Wahl von Direktkandidaten bei einer Änderung der Wahlordnung abschaffen.
Wird ein unabhängiger Kandidat in den Bundestag gewählt, entsteht auch ein Überhangmandat. Allerdings kommt es nicht zu der Lawine von Ausgleichsmandaten über die Parteilisten. Wären z.B. 2013 vier unabhängige Kandidaten anstatt vier CDU Kandidaten gewählt worden, wären nur 4 zusätzliche Abgeordnete in das Parlament eingerückt anstatt 29. Wird ein parteiloser Kandidate gewählt, so zählt seine Zweitstimme nicht. Ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz!
Schon zehn gewählte Direktkandidaten könnten die Explosion der Zahl der Abgeordneten in Deutschland verhindern. So viele „Bernie Sanders“ sollte man in Deutschland doch finden können.
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