Die Grünen in Baden-Württemberg wollen Vorreiter in Sachen Bürgerbeteiligung sein und stellen fest, dass es gar nicht so einfach ist, Bürger zu finden, die sich als Feigenblatt für bereits getroffene Entscheidungen hergeben wollen. Die Bürger sind dabei sehr realistisch und weigern sich, über Themen zu diskutieren für die sie sich nicht kompetent fühlen (im Gegensatz zu so manchem Politiker).
Im folgenden werden einige der hilflosen Versuche beschrieben, mit denen man mehr Bürgernähe demonstrieren möchte.
Angela Merkel spricht mit Bürgern über Zukunft Deutschlands. Dafür werden sorgfältig ausgelesene Bürger in Sonntagskleidung in einem Saal zusammen getrieben, um dem Monolog der Chefin zu lauschen und ein paar Stichworte zu geben. Kein vernünftiger Mensch würde erwarten, dass bei solch einer Veranstaltung ausser einer Fernsehwerbung etwas Vernünftiges heraus kommen könnte. Im Pressbericht liest man nicht einen Hinweis was denn die Bürger gesagt haben. Noch schlimmer kam es bei der Facebook Party von Herrn Seehofer.
Volksabstimmung über Stuttgart 21. Hier ließ man die Bürger des Landes über einen Ausstieg aus dem Projekt abstimmen, das schon längst verbindlich durch Verträge zementiert war. Die meisten Bürger, die über dieses Projekt abgestimmt haben, sind gar nicht betroffen. Sie fahren weder mit der Bahn noch sind sie daran interessiert, ob Milliarden sinnlos in Stuttgart vergraben werden. Mit einigen Millionen Werbegeldern der vom Projekt profitierenden Unternehmen ließ sich die Meinung der Bürger leicht beeinflussen. Das Motto: „nun sollen auch bei uns im Ländle Milliarden verbuddelt werden“, kam im Ländle gut an, da der Schwabe nur ungern anderen etwas gönnt. Für die Grünen war das ein willkommener Anlass ihr Wahlversprechen zu brechen. Die Bürger hat’s ja so gewollt! So erhalten die Stuttgarter einen Bahnhof, der vier mal so teuer ist wie der neue Flughafen in Berlin und stehen sich täglich in den überfüllten Nahverkehrszügen auf den Füßen. Für die bringt der neue Bahnhof gar nichts!
Stuttgarter Filderdialog. Hier soll die Bürgerbeteiligung davon ablenken, dass weder die Bahn noch das Land als Aufsicht einen ordentlichen Plan für eine wichtige Komponente von S21 gemacht haben. Kostensteigerung und Zeitverzögerung werden dann natürlich auf die Berücksichtigung der Bürgerwünsche geschoben. Interessant ist bei diesem Projekt wie Bahn und Land die Bürgerbeteiligung mit einem Mediator professionell organisieren. Typisch ist, dass die Bürger vorab nicht schriftlich informiert werden. Da müsste man sich ja festlegen und Experten könnten die Aussagen gründlich überprüfen. Lieber gräbt man den Bürgern schon mit Gruppendynamik Spielen schon von vornherein das Wasser ab. Mit Verblüffung stellen die Organisatoren des Dialogs nun fest, dass normale Bürger unter der Woche arbeiten müssen und sich nicht einige Tage freinehmen wollen, um in einem Saal mit 180 Leuten für Erhöhung des CO2 Gehalts zu sorgen.
Schwimmbadbau in Hechingen. Das ist ein schönes Beispiel wie Bürgerbeteiligung selbst in kleinen Gemeinden (wo Bürgerbeteiligung relativ einfach ist) schief gehen kann. Der Hechinger Bürgermeister und der Gemeinderat haben das Freibad kaputt gespart und wollten nun ein neues Bad bauen. Leider war kein Geld in der Kasse. Der Bürgermeister wollte deshalb wie in vielen anderen Orten das Bad in Public/Private Partnership bauen. Dabei muss man dem „Partner“ Zahlungen auf 30 Jahre garantieren (trotz Ebbe in der Kasse). Schließlich wurde eine Bürgerbefragung durchgeführt, die nach bitterem Streit in der ganzen Stadt, eine knappe Mehrheit für den Neubau im Public/Private Modell brachte. Das half aber wenig, da dass Regierungpräsidium die langjährige finanzielle Belastung der Stadt nicht genehmigte. Nun hat Hechingen kein neues Bad aber viele neue Feindschaften in der Stadt.
Bei aller Begeisterung für die Volksbeteiligung sollte wir besser versuchen unser demokratisches System im Sinne des Grundgesetzes zu erneuern. Entscheidungen werden von den gewählten Vertretern nach sorgfältiger Abwägung der von den Bürgern vorgebrachten Argumenten getroffen und auch verantwortet. Die Bürger werden rechtzeitig und auf verschiedenen Niveaus durch Veröffentlichung im Web informiert. Mit moderner IT Technik und moderierten Diskussionen aber auch in Gesprächen mit Bürgern (nicht mit 200 Bürgern) kann man heute ohne großen Aufwand Transparenz schaffen. Allerdings gibt es bis jetzt wenig Abgeordnete die einen Dialog mit ihren Wählern wagen. Vom hohen Baum sitzend Worthülsen zu twittern ist sicher kein Dialog und führt allenfalls zu Pfeifkonzerten.