Im Moment läuft eine von großen Medienunternehmen und Lobbygruppe untersrützte Kampagne in Deutschland mit dem Tenor: uns geht es ja viel besser als allen anderen – warum sollten wir uns Sorgen machen. Bei den Wahlen im September sollten wir deshalb ruhig wieder unser Grün-Rot-Schwarze Allianz ins Parlament schicken. Irgendwie werden die sich zu einer Koalition zusammenraufen und dann wie bisher weitermachen. Nur das einfache Wahlschaf merkt täglich, dass ihm immer weniger grünes Gras verbleibt.
Ähnlich sieht es in Großbetrieben aus. Die Mitarbeiter sehen wie die Produktion und zunehmend auch Entwicklungs- und Marketingfunktionen „den Märkten“ folgen und ins Ausland abwandern. Die im Ausland gemachten Gewinne werden nicht mehr wie früher nach Deutschland zurückgeführt und dort investiert. Viele internationale Großunternehmen bezahlen auch keine Steuern mehr. Die deutsche Hightechindustrie arbeitet mit immer weniger fest angestellten Mitarbeitern. Die deutschen Vorzeigeunternehmen wie Audi, BMW, Daimler, SAP usw vergeben Arbeiten lieber an Zulieferer und Subunternehmen sowie an kleine oder selbständige Dienstleister, die täglich mit dem Verlust ihrer Arbeit bedroht sind. Die Leiharbeiter sind dabei nur die Spitze eines Eisbergs. Da die Gewinne sprudeln sollte man sich aber eigentlich keine Sorgen zu machen.
Wer aber einmal im Laufe seines Lebens eine existentielle Krise einer großen Organisation mitgemacht hat, ist da etwas sensibler. Ein gutes Beispiel ist die Krise der IBM in 1993. IBM war immer ein Vorzeigeunternehmen mit hohen konstanten Gewinnen, hoher Ethik der Firmenleitung und der Belegschaft, das in einem Markt mit besten Zukunftsaussichten tätig war. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit gab es aber Probleme. Eine Partisanentruppe in der IBM Entwicklung hatte zwar den IBM-PC erfolgreich entwickelt, da das obere Management aber nichts von dem Spielkram hielt, mussten die Entwickler die Software für den IBM PC bei einem kleinen Startup mit 10 Leuten einkaufen, deren Chef Bill Gates hieß. Das war wie man weiß der Anfang vom Ende des IBM PCs und der Anfang vom Aufstieg von Microsoft. In IBM Research wurde u.a. damals der 801 RISC Prozessor entwickelt (der ARM Prozessor in ihrem Handy ist ein direkter Nachfolger) der etwa 10 mal billiger und 10 mal schneller als die damaligen Prozessoren der IBM war. Das Management wollte die Entwicklung aber nicht weiterverfolgen weil man sich mit niedrigeren Preisen nur „den Markt“ kaputt macht. Der 801 RISC Prozessor und die Top Entwickler wurden dann von HP übernommen, das lange mit der Technologie gute Geschäfte machte (bis HP in die gleiche Falle wie IBM damals lief – small is not beautiful). Das Management hatte auch keine Kontrolle mehr über das Unternehmen. Es gab mehrere Produktlinien, die unkoordiniert ähnliche Produkte entwickelten ähnlich wie bei VW bevor die Audi Leute mit Winterkorn kamen. Entscheidungen waren im Management nicht mehr zu bekommen. Auf einen kritischen Termin beim Chef der IBM Entwicklung musste ich drei Monate warten, weil meine Charts erst umgezeichnet werden mussten. Der Chef war farbenblind und konnte deshalb rote Zahlen nicht lesen – das sollte aber ausser seinen Assistenten niemand wissen.
Als Mitarbeiter ist man da in einer misslichen Lage. Ich hatte 18 Jahre meines Lebens viel Herzblut und viele Überstunden in die Firma investiert, hatte vor kurzem die Rechte auf eine Firmenrente erworben und sah jetzt eventuell dem AUS meiner Karriere entgegen. Zunächst schaut man sich mal um, ob man den Absprung schafft. Ich hatte auch einige Jobangebote, die aber beim Gehalt weit unterem meinem Gehalt als Manager bei IBM lagen. Absagen wurden z.B. so begründet „Ihre Gehaltsforderungen würden in unserem Unternehmen die Gehaltsstruktur sprengen“. Kurz bevor ich bereit war, auch ein niedrigeres Gehalt zu akzeptieren, übernahm Louis Gerstner das Kommando bei IBM. Gerstner hatte zwar keine Ahnung von Computern, wusste aber wie man eine große Organisation und deren Menschen leitet. Als erstes sperrte sein Finanzchef alle Ausgaben für drei Monate – damit wurde die Firma wieder liquide. Die Lieferanten murrten zwar, da sie aber wussten, dass sie bei einer Pleite von IBM noch mehr Geld verlieren würden, machten sie bei der Aktion mit. Gerstner entfernte sofort einige Nieten und Bremser im Topmanagement und innerhalb von Wochen liefen die Entscheidungsprozesse bei IBM wie am Schnürchen – jeder wusste ja dass man schnell etwas verändern musste. In der Belegschaft gab es ja genügend fähige Menschen. Erst nach drei Monaten wurden die Beschlüsse relativ schnell und ohne große Probleme umgesetzt. IBM trennte sich damals von vielen unrentablen Produktionsstätten u.a. in Böblingen mit mehreren tausend Mitarbeitern. Nach zwei Jahren war IBM wieder profitabel und hat sich seither am IT Markt gehalten. Hierfür musste sich das Unternehmen mehrfach neu aufstellen.
Die Rettung der IBM (und viele ähnliche Fälle) sind eine Blaupause für die Restrukturierung in Politik und Gesellschaft. Das Potential dafür ist sicher in den meisten Ländern der EU vorhanden. Bei uns fehlt aber den Politikern der Management Skill, der Willen und die Führungsqualitäten für ein solches Unternehmen. Sie werden auch nicht vom Verlust ihrer Existenz und ihrer Firma bedroht. Man kann ja immer weiter machen. Die Wahlschafe bezahlen ja ohne Mähen die Rechnung.
Gretchenfrage: würden sie gerne in einem Unternehmen arbeiten, das vom EU Visionär Schulz geleitet wird?
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